Welche Superpower hinter deiner Zurückhaltung steckt

Das kommt dir bestimmt bekannt vor: Unser heutiges Arbeitsumfeld ist geprägt durch Großraumbüros, Workshops, Teamarbeit, ‚aufploppende‘ E-Mails im Überfluss, flexibles Arbeiten immer und von überall, Unterbrechungen durch Anrufe, virtuelle Teams, komplexe Matrixorganisationen – you name it. Alles in allem ein höchst stimulierendes und durch ständige Reize charakterisiertes Umfeld.

Während manche Menschen nach einem Tag voller Meetings, E-Mails, WhatsApps, Social Media, und auch einfach Menschen allgemein, völlig erschöpft auf dem Sofa zu Hause bei Netflix und Co. einschlafen, sind andere auf der Suche nach dem nächsten Happening.

Du denkst jetzt wahrscheinlich, das liege am Alter, am Job, am allgemeinen Stress-Level, an Schlafmangel usw.. Wie Susan Cain in ihrem Buch “Quiet” (sehr zu empfehlen!) anschaulich beschreibt, hat tatsächlich unsere individuelle Tendenz zu Intro- oder Extraversion einen sehr großen Einfluss auf unseren Erschöpfungsgrad. Das fand der Schweizer Psychologe Carl G. Jung bereits 1921 in einer umfassenden Persönlichkeitsstudie heraus[1]. Natürlich ist unsere Persönlichkeit – inkl. Introversion und Extraversion – unglaublich komplex und facettenreich und lässt sich nicht anhand einiger weniger Faktoren stereotypisieren. Wir alle tragen einen extrovertierten und einen introvertierten Teil in uns. Die Frage ist nur, welcher Part ist der Dominantere. Geprägt durch das eigene Grund-Temperament, Erziehung und umweltbedingte Einflüsse gibt also nicht DIE Introvertierte oder DIE Extrovertierte; wir alle befinden uns auf einer Skala irgendwo dazwischen. 

Introversion ist nicht das Gleiche wie Schüchternheit

Hand auf’s Herz: Hast du bisher auch immer gedacht, Introversion wäre gleichzusetzen mit Schüchternheit und geringem Selbstbewusstsein? Und extrovertierte Menschen wären laut, outgoing und selbstbewusst? Falsch! Introversion hat nichts mit sozialen Fähigkeiten zu tun; es geht darum, wodurch eine Person Energie gewinnt und was ihr Energie raubt, wie sie Informationen verarbeitet und ob sie sich mehr zu ihrer inneren Welt oder zur äußeren Welt hingezogen fühlt. Es gibt situationsbedingt ebenso schüchterne Extrovertierte wie es auch nicht schüchterne Introvertierte gibt.

Nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand unterscheiden sich die Persönlichkeitsmerkmale Introversion und Extraversion bereits in der physiologischen Beschaffenheit des Gehirns und damit in dessen neuronaler Stimulation. Wie der Psychologe und Harvard Professor Jerome Kagan in einer Langzeitstudie herausfand[2], zeigt das introvertierte Gehirn eine höhere elektrische Aktivität auf, unabhängig davon, ob wir gerade arbeiten oder uns ausruhen. Ergo haben Introvertierte ein stärkeres Bedürfnis nach Ruhe als Extrovertierte und schirmen sich gegen Reizüberflutung eher ab – auch unbewusst. Im Umkehrschluss bedeutet das, introvertierte Menschen ziehen ihre Energie aus Ruhe und schöpfen Kraft aus dem Alleinsein, während extrovertierte Anregungen von außen brauchen, um zu neuer Energie zu finden – z.B. durch Gespräche, Parties, laute Musik etc.

Klingt komisch, ist aber so.

Introversion + Extraversion = 💥🚀 

Wenn wir aber nun die Stärken des introvertierten und extrovertierten Temperaments betrachten, können wir ein unglaubliches Potential feststellen. Denn: Gegensätze ziehen sich bekanntermaßen nicht nur an, sondern ergänzen sich auch hervorragend. Insbesondere im beruflichen Kontext. Wie eingangs erwähnt, ist grundsätzlich jede in der Lage, bestimmte Fähigkeiten zu entwickeln. Die Frage ist nur, was wir bereits auf natürliche Weise in uns haben und was antrainiert werden muss.

Ein paar Beispiele gefällig? Here you go:

💡 Introvertierte bevorzugen tendenziell die Arbeit im Hintergrund und legen wenig Wert auf Manegen-Applaus während Extrovertierte gern im Mittelpunkt stehen (siehe Steve Jobs und Steve Wozniak).

💡 Introvertierte erbringen Höchstleistungen, wenn es leise ist. Extrovertierte kommen sehr gut in lauten Umgebungen zurecht und werden durch Impulse von Außen angetrieben.

💡 Introvertierte fühlen sich eher in der Rolle des Ratgebers oder Beraters wohl, während Extrovertierte durch Enthusiasmus, Schlagfertigkeit und mitreißende Präsentationen überzeugen.

💡Extrovertierte kommen besser mit Information Overload zurecht, während die ständige  Informations-Reflexion der Introvertierten einen großen Teil ihrer kognitiven Kapazität in Anspruch nimmt. Dafür sind Introvertierte stark in Aufgaben, die eine hohe Konzentration erfordern.

💡 Das, was wir üblicherweise unter „Multitasking“ verstehen, gehört eher zur extrovertierten Stärke (mal abgesehen davon, dass die Physiologie unseres Gehirns nicht darauf ausgelegt ist, mehrere Aufgaben gleichzeitig und zur gleichen Qualität zu erfüllen – nur so by the way), Introvertierte sind gut im Single-Tasking und eher in der Lage, sich mit Themen in der Tiefe auseinander zu setzen.

💡 Während Introvertierte eher risikobewusster (und damit meine ich nicht risikoscheu!) arbeiten, bekommen Extrovertierte Dinge schneller „auf die Straße“.

💡 Introvertierte ziehen Schreiben (= Email) dem Sprechen (= Telefon) vor. Das ist umgekehrt bei Extrovertierten. Dies führt tatsächlich zu Herausforderungen im Arbeitsumfeld, auf die ich an anderer Stelle näher eingehen werde.

💡 Introvertierte denken einen Gedanken erst zu Ende und evaluieren, ob es der Gruppe oder dem Meeting einen Mehrwert gibt, bevor sie ihn preisgeben. Das führt zu sehr wertvollen Beiträgen, aber kann eben manchmal etwas länger dauern (und dann auch mal gar nicht passieren, wenn „der Moment“ vorbei ist). Extrovertierte „schießen eher drauf los“ und bringen so eine Diskussion schneller in Gang.

💡 Introvertierte bevorzugen Deep Talk, während Extrovertierte immer für Smalltalk zu haben sind (was natürlich nicht heißt, dass Extrovertierte keinen Deep Talk machen können oder wollen).

… du merkst, diese Liste lässt sich noch weiter fortführen.

Was ist deine Superpower?

Wir haben bereits festgestellt, dass unser Arbeitsumfeld eher durch das extrovertierte Ideal unserer westlichen Kultur geprägt ist. Bist du gesellig, kontaktfreudig, dominant und kommst gut mit Informationsüberfluss zurecht, dann gehörst du vermutlich zu den 50-70% extrovertierten Menschen unserer Bevölkerung, und wirst sichtbarer in Unternehmen wahrgenommen. Bist du eher zurückhaltend, und hast das Gefühl „übersehen“ zu werden, dann ist das natürlich ärgerlich. Aber DU allein bist in der Verantwortung das zu ändern.

(Achtung, Brainwash-Alarm!)

DU allein bist für alles verantwortlich, was in deinem Leben passiert oder nicht passiert. DU bist im Driver Seat, niemand sonst. Wenn du andere für deine Situation verantwortlich machst, gibst du ihnen die Macht, über dich und dein Leben zu bestimmen.

Willst du das?

Nein?

Dann nimm JETZT einmal Zettel und Stift in die Hand und schreibe auf, in welchen Situationen du deine introvertierten Stärken bereits genutzt hast und erfolgreich warst. Das sind bestimmt viel mehr, als du jetzt gerade denkst! Hast du z.B. mal ein Problem gelöst, indem du dich tief in ein Thema eingearbeitet hast? Oder hast du mal eine Kollegin für eine wichtige Aufgabe vorgeschlagen, weil du weißt, sie ist super darin? Oder wurde durch deine Beobachtungsgabe ein wichtiges Problem hinter dem eigentlichen Thema erkannt, das dadurch im Vorfeld gelöst werden konnte?

Diese Liste kannst du nun jeden Tag fortführen, wenn du möchtest. So erstellst du dein persönliches Erfolgstagebuch, das du immer zur Hand nehmen kannst, wenn du z.B. einen schlechten Tag hattest oder Angst vor einer zukünftigen Herausforderung hast. Deal?

Mein Appell an dich und dein Umfeld

Also, an alle introvertierten Frauen, die das Gefühl haben, ihre Zurückhaltung steht ihnen in der beruflichen Entwicklung im Weg: Du bist super!! Mach dich nicht kleiner, als du bist, und fühl dich nicht gezwungen dich zu verstellen. Du hast ganz besondere Stärken, die – wenn sie ihr volles Potential entfalten können – einen wertvollen Unterschied in unseren Organisationen machen. Also zeige sie ruhig. Authenticity is key!

An die Extrovertierten: Ich hoffe, du konntest hier ein paar „Eye-Opener“  mitnehmen und Verständnis für die Menschen aufbringen, die eine Einladung zum gemeinsamen Team-Dinner nach einem langen Workshop-Tag dankend ablehnen – es ist nichts Persönliches (vermutlich 😉)..

Und meine Bitte an alle Führungskräfte: Ein Drittel bis die Hälfte deiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist introvertiert. Sei dir der unterschiedlichen Persönlichkeitstypen und Bedürfnisse in deinem Team bewusst. Bewerte Zurückhaltung nicht als Schwäche. Höre genau zu, beobachte und schaue hinter die Fassade.

Und vor allem: Streiche den Satz „Du musst mehr aus dir herauskommen“, denn erstens können wir ihn nicht mehr hören und zweitens ist er nicht besonders hilfreich.

Diversity Matters! Merci!

 

P.S.: Wenn du wissen möchtest, wie du nun deine  persönlichen Stärken herausfindest, schau dir auch gern mein kostenloses Workbook zum Thema “Introvertiert Erfolgreich” an, das ich für dich vorbereitet habe. Mithilfe praktischer Tipps und Übungen bildet es den Startpunkt auf deinem Weg zu mehr Mut und Sichtbarkeit im Job – Damit du die Wertschätzung bekommst, die du verdienst und den Erfolg, den du dir wünschst. ❤️ 

Lade es direkt hier herunter: workbook.bookofsilentpower.de 

 

Buchempfehlung:

Susan Cain, Quiet – The power of introverts in a world that can’t stop talking (2012)

Quellen:

[1] Carl G. Jung, Psychologische Typen (Zürich: Rascher Verlag, 1921)
[2] Start in 1989, The Long Shadow of Temperament (nachzulesen in: Cambridge, MA: Harvard University Press, 2004)

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